Die Brüder Fürst    BRATIA FÜRST

 

Shmuel und Naftali (der kleine) Fürst

Vorwort von Naftali

Dieser verdammte Krieg, der 2. Weltkrieg, endete vor über 50 Jahren. Das ist eine Zeitspanne von zwei Generationen. Während all dieser Zeit bin ich älter geworden und bin jetzt schon jenseits der fünfundsechzig.

 

In Israel habe ich aktiv an drei weiteren Kriegen teilgenommen.

 

Ich heiratete Ruti Heilmann. Nach dreizehn Ehejahren ließen wir uns scheiden.

 

1957 wurde unsere Tochter Ronit geboren. Sie heiratete Ehud Bibring and dank ihrer habe ich vier Enkelkinder: Tom, Mika, Yoel und Michael.

 

Über fünfzig Jahre lang waren meine Erinnerungen und Gefühle tief in meiner Seele begraben. Ich habe Bruchstücke meiner Kindheit zu sehr seltenen Gelegenheiten preisgegeben, und das nur einer Hand voll Menschen.

 

Nicht nur einmal wurde in unserer Familie die Bedeutung, die eine Dokumentation unserer Erinnerungen haben könnte, besprochen. Wir haben die Idee nie in die Tat umgesetzt. Solch ein Vorhaben erfordert offensichtlich einen Prozess der Entwicklung und Erkenntnis. In unserer Familie benötigte dieser Prozess ein halbes Jahrhundert.

 

Es scheint auch, dass mit der Zeit meine Gedanken und Erinnerungen mein Bewusstsein überfluteten. Sie wollten ausbrechen. Wahrscheinlich ahnte ich auch, dass sich mit dem Älterwerden die Lücken in meiner Erinnerung häufen würden.

 

Eine Änderung der öffentlichen Meinung in Israel gegenüber Menschen wie uns zusammen mit dem Drängen meiner Tochter und dem Einverständnis von Shmuel haben schließlich zu der Entscheidung geführt, unsere Familiengeschichte niederzuschreiben.

 

Aber bevor ich diese lange und gewundene Geschichte erzähle, möchte ich noch ein paar Dinge, die mir sehr bedeutsam sind und waren, ansprechen.

 

Als erstes würde ich gerne erwähnen, dass, obwohl ich ein emotionaler Mensch bin, dem leicht die Tränen kommen, weder mein Bruder oder ich noch meine Eltern jemals während des Krieges geweint haben. Heute kann ich diese Tatsache kaum fassen.

 

Zweitens, in meinem Bericht als Zeitzeuge für Yad Vashem wie auch in meinen schriftlichen Erinnerungen habe ich versucht, drei Wörter zu vermeiden: Deutsche, Holocaust und Nitzolim (die Geretteten) – das allgemein übliche hebräische Wort für Überlebende.

 

Deutsche – ich verabscheue die Deutschen dieser Epoche, im Besonderen die, die SS- und Gestapouniformen trugen. Aus diesem Grund habe ich mich dafür entschieden, sie nur dann direkt zu nennen, wo es absolut notwendig war.

 

Holocaust – Der Gebrauch dieses Wortes hat im alltäglichen Konext seine Einzigartigkeit, Kraft und tiefere Bedeutung verloren.

 

Die Geretteten – Ich wurde nicht gerettet. Eine gerettete Person ist jemand, der an den verheerenden Ereignissen nicht teilgenommen hat, wie ein nichtjüdisches Kind in Monaco oder der Schweiz, das nie einen Krieg erlebt hat.

 

Wir sind Überlebende, Kohlestücke, die in den Flammen des Schreckens nicht völlig verbrannt sind.