Die Brüder Fürst    BRATIA FÜRST

 

Kindheit und Familie

Die Familie Fürst

In der Familie Fürst gab es immer ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl und viel Liebe. Alle Geschwister waren einander sehr zugetan.

Unser Vater Artur war die dominante Figur unter ihnen. Alle kamen sie zu ihm, um ihn um Rat zu fragen, und er sorgte sich um jeden einzelnen. Er wurde als Oberhaupt der Familie angesehen. An dieser Stelle sei auch erwähnt, dass die Familien Blum und Fürst stets exzellente Beziehungen untereinander pflegten.

Unser Großvater Hugo Fürst ist in Bratislava begraben. Er starb, bevor wir geboren waren, deshalb können wir uns an ihn auch nicht erinnern. Dasselbe gilt für Großmutter, die starb, als Shmuel ca. achzehn Monate alt war. Sie ist ebenfalls in Bratislava begraben. Wir besuchten den Friedhof vor drei oder vier Jahren und ließen beide Gräber renovieren. Auf den Grabsteinen ließen wir alle Namen ihrer Kinder und Enkelkinder, die im Holocaust umgekommen sind, eingravieren.

Die Familie Fürst hatte wohl seit Anfang des achtzehnten Jahrhunderts in Bratislava gelebt, vielleicht sogar länger. Es gibt keine Dokumente darüber, womit sie ihren Lebensunterhalt bestritten. Großvater war in Boldogasszony geboren worden, wir besitzen jedoch keine Informationen über seine Eltern.

Die Wurzeln der Familie meiner Großmutter mit Namen Frank liegen in Nové Zámky. Ihre Familie ist sehr verzweigt. Die meisten der Söhne und Töchter erhielten eine höhere Ausbildung. Sie wurden Doktoren, Rechtsanwälte, Lehrer und Direktoren. Andere wiederum waren Händler und Handwerker in den für Juden damals üblichen Branchen.

Meine Großeltern hatten sechs Kinder. Die Erstgeborene war Elvira, Jahrgang 1896. Sie heiratete einen Offizier. Diese Ehe hielt jedoch nicht sehr lange. In zweiter Ehe war sie mit Lapeš Rosenzweig verheiratet. Sie übersiedelte mit ihm nach Predmier, dem Dorf seiner Familie. Sie blieb kinderlos. Unsere Eltern und wir blieben immer in enger Verbindung mit ihrer Familie. Bis auf die beiden Töchter der Brüder kam die gesamte Familie Rosenzweig im Holocaust um. Die Jahre vergingen und beide Frauen starben, und heute wissen wir nichts über jedwede Nachkommen.

Unser Vater Artur wurde 1898 geboren. Er besuchte bis zum Alter von siebzehn die Schule. Im ersten Weltkrieg wurde er dann zur Österreichisch-Ungarischen Artillerie eingezogen. Nach seiner Entlassung aus dem Wehrdienst bei Kriegsende wurde er von einem berühmten Holzhändler angestellt. Bei ihm lernte er alles über den Ein- und Verkauf von Nutzholz. Zu dieser Zeit wurde Holz noch viel stärker beim Hausbau wie auch in anderen Bereichen eingesetzt als heute.

Das dritte Kind der Familie war Ladislav, oder Laci, geboren 1903. Mein Vater und Laci gründeten gemeinsam die Firma „Gebrüder Fürst“ („Bratia Fürst“), die im Nutz- und Bauholzhandel aktiv war. Die Firma, eigentlich eine riesige Lagerhalle für Bauholz, befand sich in der Drevenástraße 7-9 in Petržalka, einer Vorstadt von Pressburg. Vater war für die operativen Aspekte der Firma zuständig und war damit der Direktor der Firma. Onkel Laci war der Mann für die Finanzen und Verwaltung. Später wurde auch das Haus unserer Familie auf dem Firmengelände errichtet. Dort wurden wir geboren.

1936 heiratete Onkel Laci Stela Sonnenmark. Drei Jahre später wurde ihre Tochter Marika geboren. 1942 wurden sie alle drei von der Slowakischen Hlinka-Garde[1] gefangen genommen und nach Polen deportiert. Die gesamte Familie ist umgekommen.

Lacis jüngerer Bruder war Gyula. Es war allgemein bekannt, dass er der begabteste Bub der gesamten Familie war. Er wurde jedoch krank und starb 1922 im Alter von nur zweiundzwanzig.

Andor war das nächste Kind der Familie. Er heiratete Fritzi Lichtenberg. Sie hatten zwei Söhne: Štefan-Pišta und Tomáš-Tom. Während des Krieges versteckten sie sich in einem Bauernhaus in den nahen Bergen. Kurze Zeit verbrachten sie auch in einem Arbeitslager. Glücklicherweise wurden sie nicht in ein Konzentrationslager verschleppt. Die ganze Familie überlebte und wanderte nach Israel aus.

Nach dem Krieg ließ sich Andor von seiner ersten Frau scheiden. Seine zweite Ehe war mit Berta Klein, geboren in Prešov. 1949 kamen sie nach Israel und ließen sich in Sarona nieder. Onkel Andor leitete ein Geschäft in einem Moshav[2]. Er starb 1996 und Tante Berta 1982.

Ihr Sohn, Itamar – seinen Namen haben wir in der Einleitung schon erwähnt – heiratete Tama Ziv-Ron aus Haifa. Sie haben zwei Kinder – Dror, Jahrgang 1985, sein Name erinnert an Andors Namen, und Lilach, 1987. Sie leben heute in Even Yehuda.

Die jüngste in der Generation meines Vaters war Tante Lidia-Lido, die Šandor Löwinger heiratete. Zusammen mit Onkel Andor gründete er in der Nähe von Nové Mesto ebenfalls eine Bauholzhandlung, ganz ähnlich wie die meines Vaters und Onkel Laci. Sie produzierten jedoch auch Schieferplatten. Onkel Šandor verstarb 1938 an einer bösartigen Krankheit. Er hinterließ Lido mit einem Sohn, Hanzi. 1942, als Hanzi gerade einmal elf Jahre alt war, wurde er mit seiner Mutter nach Polen deportiert. Sie kamen nie zurück.

Noch erwähnen wollen wir Tante Bela, die Tante meines Vaters. Sie war die einzige aus der Generation meiner Großeltern, die wir gekannt haben. Sie hat nie geheiratet, und so hat die Familie für sie gesorgt. Unser Vater hat den Löwenanteil dieser Versorgungslast übernommen. Für Tante Bela waren wir Kinder das Wunderbarste auf Erden. Wann immer wir zu ihr kamen, hatte sie alle möglichen Süßigkeiten für uns bereit. Ihr Heim war recht leer, sie lebte ein eher asketisch-bescheidenes Leben.

Während des Krieges wurden diverse Versuche unternommen, sie zu retten. Einer dieser Versuche wurde vom Rabbi von Nové Mesto unternommen in dem er sie in einem Altersheim unterbrachte.

Es gab Gerüchte, dass einige ältere Männer und Frauen im Austausch für andere, die dann ihre Plätze in den Heimen einnahmen, in die Todeslager deportiert wurden. Es gibt jedoch keine Beweise für diese Gerüchte. Tante Bela kam zu unserer großen Trauer im Holocaust um.


[1] „Hlinková Garda“ - Miliz und Kampforganisation der Slowakischen Volkspartei bzw. Hlinka Partei in der Zeit von 1938 bis 1945. Der Name geht auf den Priester Andrej Hlinka (1864-1938) zurück, der seine in Ungarn verbotene Slowakische Volkspartei im Dezember 1918 nach dem Vertrag von Saint-Germain wieder gegründet hatte. Die Hlinka-Garde formierte sich während der Sudetenkrise am 8.10.1938 neu. Sie war eine stark nationalistische Gruppe und kämpfte mit allen Mitteln gegen die "Tschechisierung" der Slowakei, gegen Juden, Linke, jegliche Opposition, auch in starker Kooperation mit Hitlerdeutschland. Sie trugen schwarze Uniformen, grüßten mit erhobenem Arm. Zur Zeit des slowakischen Unabhängigkeit (1939 – 1945) wurde für die Hlinka Garde eine Reihe von Verordnungen durch das Regime erlassen: Sie sollte als der Partei angegliederte Organisation den Patriotismus fördern, paramilitärische Ausbildung bieten und über die innere Sicherheit wachen. Sie fungierte als Gegengewicht zur Armee und der Polizei. 1941 wurden Stoßtruppen der Hlinka-Garden in SS-Lagern in Deutschland ausgebildet. Ab 1942 „unterstützt“ sie die Polizei und die örtliche Freiwillige Schutzstaffel bei der Deportation von Juden. Nach dem Slowakischen Nationalaufstand im August 1944 übernahm die SS die Führung der Hlinka-Garde. Sondereinheiten der Garde wurde vor allem gegen Partisanen und Juden eingesetzt. Vgl.: Y. Jelinek, Storm-Troopers in Slovakia. The Rodobrana and the Hlinka Guard, in Journal of Contemporary History 6 (1971), S. 97-119.

[2] Moshav - kooperatives Dorf von Kleinbauern (Moshav Ovdim) oder kooperatives Gemeinschaftsdorf (Moshav Shitufi).

 

Die Familie Fürst - Foto aus dem Jahre 1936 Hugo und Iram Fürst