Die Brüder Fürst    BRATIA FÜRST

 

Einleitung von Naftali

Bei seiner Geburt war Shmuels Name Peter Fürst. In der Tschechoslowakei wurden einem jüdischen Kind nach jüdischer Tradition auch hebräische Namen gegeben. Diese wurden aber üblicherweise im täglichen Leben nicht verwendet. Peters hebräischer Name war Shmuel-Yitzhak.

Nach dem Krieg, als wir der Bewegung “Hashomer Hatzair” beitraten, war es völlig klar, dass wir auf „aliya“[1] nach Eretz Israel gehen würden. Zu dieser Zeit war es undenkbar, dass irgendjemand mit einem fremden Namen eine „aliya“ unternehmen würde. Jedes Mitglied der Preßburger Sektion dieser Bewegung musste einen hebräischen Namen für sich wählen. Wenn er oder sie bereits einen solchen Namen bei der Geburt erhalten hatte, so war das in Ordnung. Wenn nicht, mussten sie einen hebräischen Namen annehmen. Darüber hinaus beschlossen wir in der Bewegung, dass ab einem bestimmten Datum jeder, der einen Freund mit seinem oder ihren nicht-hebräischen Namen ansprach, die Summe von einer Krone in die Gemeinschaftskasse zu zahlen hätte. Wir hielten diese Regel strikt ein, sodass wir nach einigen Monaten eine beträchtliche Summe in unserer Kassa hatten. Mit der Zeit gab es keine Zweifel mehr, und bei unserer Ankunft in Israel war es mehr als klar, dass der einzige und alleinige Namen meines Bruders Shmuel war.

Mein ursprünglicher Name war Juraj Fürst (Spitzname: Ďuro). Der Name Naftali kam vom Vater meines Großvaters Isidor.

In beiden Familien – der Familie Blum meiner Mutter und der Familie Fürst meines Vaters – waren wir beide die ersten Enkel. Natürlich sind in allen Familien die ersten Enkelkinder die begabtesten und schönsten. In unserem Fall gab es keine Zweifel, da wir wirklich zwei sehr ansehnliche Knaben waren. Es gab keinen Grund für die ganze Familie nicht völlig vernarrt in uns zu sein.

Die glücklichen Tage unserer Kindheit – sieben Jahre für Shmuel und sechs Jahre für mich – dauerten nicht sehr lange.

Schon Anfang 1938 gehörten wir zu den wenigen, die verfolgt wurden. Da unsere Familie ziemlich gut situiert war, konnten wir uns den sich verändernden Gegebenheiten anpassen. Wir lernten das von unseren Eltern als wir von einem schönen Privathaus in eine Einzimmerwohnung zogen, in der wir selbst putzen und die Wäsche waschen mussten. Die Veränderungen, die uns hernach aufgezwungen wurden, lehrten uns zu arbeiten, weise und bis zu einem gewissen Grad intelligent zu sein, und gleichzeitig auch jedes äußerliche Anzeichen von Schläue in Grenzen zu halten. Wir lernten auch unsichtbar zu sein. Wir wurden dazu erzogen, Menschen zu sein. Mein Vater war ein stolzer Mann und er ließ es nie zu, dass ihn jemand beleidigte. Vor sich selbst behielt er immer seine Menschenwürde, auch wenn er verprügelt wurde. In unserem Haushalt existierte keine koschere Küche. Dennoch war unsere Familie von ihrem ganzen Wesen her eindeutig jüdisch. Mein Vater hat diese Tatsache nie verborgen. Sogar als unseren Eltern einmal der Vorschlag gemacht wurde, unseren Familiennamen in einen slowakischen abzuändern und zum Christentum zu konvertieren, lehnten sie dies klar und deutlich ab. Der unseren Eltern eigene Stolz und ihre Kraft inspirierten uns in unserer frühen Kindheit – wir waren erst sechs und acht Jahre alt als wir in den reißenden Strom gezerrt wurden.

1938, kurz vor Beginn des Krieges, wurden wir gezwungen, unser Haus zu verlassen. Das Haus, das unser Vater mit seinen eigenen Händen ein paar Jahre zuvor gebaut hatte. Bevor wir das Haus aufgeben mussten, nahm er eine Axt und zerstörte Teile der Einrichtung, sogar Elemente, die in den Wänden eingebaut waren. Das seiner eigenen Hände Werk anzutun war sicherlich nicht einfach. Unser Vater sagte damals: „Sie vertreiben mich aus meinem Haus, aber sie werden nie unseren Widerstandsgeist zerstören!“

Zu dieser Zeit waren uns natürlich die einzelnen Fakten noch nicht klar, wir waren jedoch in der Lage, die Gefühle und ihre Bedeutungen zu erfassen.

Wir beginnen unsere Familiengeschichte mit unseren Großeltern. Es wurde einmal behauptet, dass Naftali eher der Familie Blum und dass Shmuel eher der Familie Fürst nachschlägt.

Wir werden unsere Erinnerungen und Erfahrungen über unsere Zeit in Vrbové wiedergeben. Vrbové ist ein Dorf in der Nähe der slowakischen Stadt Piešťany und wir waren vor kurzem zu Besuch dort. Itamar, einer unserer Verwandten (ein Cousin aus der Familie Fürst), hat Naftali und seine Familie bei deren Besuch begleitet.

 

[1] Wörtl. Aufstieg, Auffahrt (nach Zion); meint die Emigration nach Eretz Israel oder Eretz Yisrael, dem Land Israel, das ist das moderne zu besiedelnde jüdische Heimatland in Palästina; Insgesamt zählen Historiker von 1882 bis zur Gründung des Staates Israel im Jahr 1948 bereits fünf Einwanderungswellen, zahlenmäßig war die Einwanderungsbewegung dann jedoch besonders zwischen 1948 und 1951 am stärksten.